IV

 

Wir hatten uns in einem kleinen Hotel in Manhattan eingemietet. Die Ausblick war gut, denn wir sahen von unseren Zimmern aus den Central Park.

Alles wirkte sauber, mein Bett bequem und das TV-Gerät bot kostenfreien Kabelempfang. Nur, wenn man spezielle Filme sehen wollte, wurde ein gewisser Betrag fällig.

Aber danach stand mir der Sinn wahrlich nicht.

Nach unserer Ankunft im Big Apple hatte Marc mit ein paar Leuten telefoniert und versucht, die Spur von Pérez aufzunehmen, während ich mich in ein paar billigen Läden herumgetrieben und Kleidung erstanden hatte. Hosen, Jacken, Shirts und Unterwäsche.

Es reichte für ein paar Tage New York City. In Mount Paxton trug ich meist Joggingkleidung so wie die anderen Deputy Marshals auch.

Den Rest, inklusive schicken Kleidern und besagten Dessous, würde ich über das Internet ordern und an die Postadresse von Mount Paxton gehen lassen.

Zum Glück hatte mich mein Werwolf in eine Kneipe ausgeführt, in der man Pool spielte und Bier aus Flaschen trank. Sonst hätte ich mir schon früher das kleine Schwarze zulegen müssen.

»Wir haben nur eine Spur und die führt zu einem Underground-Club namens Trainspotting«, erklärte Marc, als wir uns zu einer Besprechung in seinem Zimmer trafen.

»Trainspotting?«, fragte ich unsicher. »So wie der Roman von Irvine Welsh?«

Marc nickte. »Oder das Hobby. Er liegt in einer aufgelassenen U-Bahnstation unter dem Central Park. Der Eingang befindet sich in einem kleinen, alten Kontrollhäuschen direkt am Reservoir.«

»Dann schauen wir uns dort um!« Ich blickte aus dem Hotelfenster seines Zimmers. Das Reservoir glitzerte in der Abendsonne. »Wann hat der Club geöffnet?«

Marc schüttelte den Kopf. »Das ist eine andere Welt, Lara. Ein Undergroundclub in unserem Job hat eine bestimmte Bedeutung. Dort treffen sich Wesen, an die kein Mensch glaubt. Vampire, Werwölfe, Magier … Solche Orte sind schlecht, denn man kann in ihnen sterben. Oder es widerfahren einem noch schlimmere Dinge.«

»Also gehen wir nicht hin?«

Er seufzte. »Doch. Aber wir sind verdammt auf der Hut, nehmen keine Einladung an, egal wie gut es klingt und passen auf unsere Seele auf.«

Er trat an den kleinen Safe heran, der sich im mittleren Fach des Schranks befand, und entnahm ihm eine Kette.

Diese reichte er mir.

Der Anhänger an der Kette war hübsch. Er zeigte das Abzeichen des USMS, war aber zu klein, um eine Bedeutung zu haben. Die Zacken des Sterns waren mit verschiedenfarbigen Steinen besetzt.

Der Schmuck war leicht, trug sich angenehm und löste, kaum dass der Anhänger Kontakt mit meiner Brust bekam, ein wohliges Gefühl aus.

»Was ist das?«, wollte ich verblüfft wissen.

»Deine Lebensversicherung. Ich trage den gleichen Stern; nur ein bisschen größer, damit er nicht schwul an mir aussieht. Die Steine sind spezielle Kristalle, die Wellen aussenden. Sie wirken der Magie bestimmter Wesen entgegen. Trägst du den Stern, kann dich kein Vampir bannen. Auch reflektiert der Stern zu einem gewissen, sehr kleinen Stück feindliche, gegen dich gerichtete Magie.«

»Hm.« Ich spürte, dass mich diese Offenheit überforderte. »Wann gehen wir?«

»Um elf. Es ist die beste Zeit. Der Club füllt sich, aber man kann noch überblicken, wer kommt und geht, ohne aufzufallen.«

»Du bist der Experte.«

Marc lächelte. »Immer schön aufpassen, dann lernst du es. Wir treffen uns um kurz vor elf. Nimm die Digitalbrille mit, damit wir uns im Club verständigen können und via Cams und PDAs auf die Datenbanken des USMS zugreifen können.«

»Ja, Papi.« Damit verließ ich sein Zimmer, ging in mein eigenes und legte mich aufs Bett. Es würde eine lange Nacht werden.

 

*

 

Der Trainspotting war anders als jeder Club, den ich jemals in meinem Leben gesehen hatte.

Schon der Abstieg in die Unterwelt gestaltete sich abenteuerlich. Früher hatte das Häuschen neben dem großen See im Central Park dazu gedient, den Wasserstand zu regulieren. Es war eines von mehreren gewesen, über das man Wasser hatte ablassen können.

Inzwischen ging dies automatisch, gesteuert von einem Computer. Darum gab es eine zentrale Steuereinheit, während man die restlichen Häuschen nur noch für Notfälle hatte stehen lassen.

Eines davon diente als Eingang zum Trainspotting tief unter der Erde.

Wir hatten eine Klappe im Boden angehoben und waren eine alte, rostige Leiter hinab gestiegen.

Doch statt Dunkelheit und Staub drangen Musik und zuckendes Licht aus der Tiefen hinauf.

Unten angekommen hatten wir einem schmalen Weg folgen müssen, der an alten Gleisen entlang zu einem aufgelassenen Bahnhof führte.

Dort befand sich der Trainspotting,

Musik hallte zwischen den alten Betonwänden wieder und dröhnte in den Ohren. Stroboskop-Blitze rissen die Gäste dieses bizarren Clubs aus dem Zwielicht, welches hier unten herrschte.

Männer und Frauen, manche normal gekleidet, andere in typisches Gothic-Outfit. Schwarze Mäntel, barocke Kostüme, schwarze, blutrote und bleiche Schminke.

An einer Theke wurden Getränke verkauft, im hinteren Bereich lagen Decken und Kissen auf dem Boden. Pärchen und kleine Gruppen hatten sich gefunden. Manche gaben sich keusch, andere hatten bereits zum erotischen Nahkampf angesetzt.

Ich entdeckte Vampire, die Blut aus den offenen Wunden ihrer Gespielen tranken, und Werwölfe, die verwandelt Sex mit Menschen hatten.

Unsere Digitalbrillen verstärkten das Licht, dämpften die Blitze und gaben uns so die Möglichkeit, die einzelnen Personen zu betrachten.

Ein junger Mann hielt einen feurig roten Energieball in Händen, ließ ihn zur Decke steigen und dort zerplatzen. Ein kleines Feuerwerk explodierte unter der kalten, grauen Betonhülle des ehemaligen Bahnhofs.

»Ein Magier!«, erklärte Marc. Unsere Brillen verfügten auch über ein Headset, sodass er nicht schreien musste. Seine Stimme wurde verstärkt und gut hörbar an mich weitergeleitet.

Dies funktionierte auch über viele Kilometer hinweg, denn die Technik setzte wahlweise auf WiFi, Bluetooth, CDMA, UMTS, GSM oder Sat-Verbindungen – je nachdem, was verfügbar war.

»Faszinierend!«, gab ich zurück. »Ein Magier?«

Er nickte, streckte die Hand aus und deutete auf eine junge Frau. Sie war kaum zwanzig, trug jedoch derart laszive Kleidung, dass sie kaum einen Zweifel an ihren Wünschen ließ. »Und sie ist eine Hexe.«

»Woran erkennst du das?«, fragte ich erstaunt.

»Sie hat eben einen Mann verschwinden und mehrere Meter weiter links wieder erscheinen lassen. Ihre Art zu sagen, dass er verschwinden soll.«

»Das ist bemerkenswert!«, ließ ich Marc wissen. Mein Blick huschte über die Gesichter der Anwesenden. Es waren etwa vierzig Personen hier unten im Club. Da dieser weitläufig war und ich dank Zoom der Brille auch die hinteren Bereiche ausspähen konnte, wurde mir eines sehr schnell klar – Pérez war nicht zugegen.

»Trinken wir etwas?«

Marc nickte. »Aber pass auf, was du bestellst. Nicht, dass du eine Flasche mit Blutzusatz erwischst. Oder Fleischeinlage. All diese Kreaturen haben verschiedene Geschmäcker. Halte dich an H-Getränke, sofern es welche gibt.«

»H-Getränke?«

»H wie Human.«

Ich stöhnte. »Gönn mir eine Pause!« Damit ließ ich ihn stehen und ging zur Theke.

Ein junger Mann mit unzähligen Piercings im Gesicht, enger Lederweste und dürren Armen schaute mich fragend an. »H-Bud?«

»Zwei davon!« Danke, Marc! Du hast was gut bei mir.

Kurz darauf standen die Flaschen vor mir. Ich zahlte, griff nach den Getränken und kehrte zurück zu Marc, der sich inzwischen einen kleinen Ecktisch gesucht hatte.

»Mörderische Triebe!«, sagte er, als ich ihm das Bier reichte.

»Wie meinst du das?«
Er deutete auf einen jungen Mann, der nicht weit entfernt auf Decken lag und mit verdrehten Augen ekstatisch zuckte. Auf ihm saß eine betörend schöne Frau. Sie ließ ihr Becken kreisen, ihr Mund schien jedoch auf seinem Hals zu kleben. Ihre Augen leuchteten rot, während sie das Blut ihres Opfers trank. Ein dünnes, rotes Rinnsal lief zwischen ihren Lippen hervor, ihr Hals bewegte sich immer dann, wenn sie schluckte.

»Sie wird ihn töten!«

»Vermutlich. Würde das hier in einem normalen Club passieren, würde ich die Waffe ziehen und sie von ihm runterziehen. Aber wer in einen solchen Club geht, spielt mit dem Feuer. Sie folgt ihrer Natur, er seinen lüsternen Trieben. Das bringt ihn um.«

»Und wir lassen es zu?«

»Nur an Orten wie diesem. Wir sind nicht die Inquisition und oft genug auf die Hilfe paranormaler Wesen angewiesen. Es gibt ungeschriebene Regeln, an die wir uns seit Bestehen der Spezialabteilung halten. Einige der Kreaturen können sich daran noch erinnern; Unsterblichkeit ist ein Bonus, wird man zum Vampir.«

Ich nahm einen Schluck, schaute den beiden noch einen Moment zu, wandte mich dann aber wieder ab, da ein Schwung neuer Gäste den Trainspotting betrat.

Einer davon war Antonio Ramon Pérez!